Joan Jonas – Begründerin der Videoperformance
Jonas (geb. 1936 in New York) gilt als Pionierin der zeitgenössischen Performance, die auch heute noch die jüngere Künstlergeneration beeinflusst, weswegen ich mir die Ausstellung in der Tate Modern ansehe.
Gleich im ersten Raum, den ich durch den Eingang betrete, befinden sich rechts Masken und Requisiten. Verschiedene Tiere – aus Holz oder Stein gefertigt -, an der Wand hängen Masken. Sie spielen eine große Rolle in Jonas Leben:
„Diese Masken inspirieren mich, mich anders zu bewegen und zu verhalten. Wenn du eine Maske aufsetzt, kannst du eine andere Welt betreten. Die Wahrnehmung von Bewegung wird transformiert.“ Joan Jonas
Jonas fing an, Masken zu benutzen, nachdem sie 1970 nach Japan ging und das Noh-Theater sah. Im Laufe der Jahre fand sie verschiedene Masken für fast jedes ihrer Stücke. Als ich das lese, beschließe ich, später noch einmal in diesen Raum zurückzukehren, um zu sehen, ob ich rückblickend eines der ausgestellten Exponate einem konkreten Stück zuordnen kann.
Ich wandere durch die nächsten Räume und komme an Fotografien früherer Arbeiten und an The Juniper Tree vorbei.
Die Installation war die erste, die explizit auf einer Erzählung basiert. Der Wacholderbaum bezieht sich auf das Märchen der Brüder Grimm.
In der Installation sind Requisiten, Reliquien, Gemälde und Zeichnungen enthalten, ebenso wie Kleidungsstücke und Konstruktionen, die in der letzten Version der Performance verwendet wurden. Die Gemälde auf rot-weißer Seide wurden während jeder der Aufführungen angefertigt und einzeln in den Hintergrund gestellt.
Als nächstes betrete ich Raum 4, dort erwarten mich Lines in the sand in der linken Hälfte des Raumes und My new Theater III und V in der rechten Seite des Raums.
Es ist schwierig, ihre Installationen nur mit Worten zu beschreiben, so vielseitig und facettennreich ist Jonas Arbeit. Sie arbeitet mit Kultur und Traditionen, behandelt Themen von Mythen bis zur lokalen Folklore. Ihre stücke sind politisch und poetisch zugleich und zeigen ihr starkes Interesse an Bewegung, Musik, weiblicher Identität, Umwelt, Natur und urbanen Landschaften.
Besonders lange halte ich mich im Raum 6 auf. Dort befindet sich Stream or River, Flight or Pattern 2016–17, eine Arbeit bestehend aus 3 Bildschirmen, Videos, Ton, 14 bemalten Tafeln (Holz, Aluminium, Farbe), 10 Drachen (Papier, Farbe, Holz).
Auf dem ersten Bildschirm, dem ich mich zuwende, sehe ich eine Person, die vor den riesigen Wurzeln einen Mamutbaums steht oder projeziert ist, sie malt in schnellen Bewegungen ihr Gewand an. Jonas benutzt dafür einen Zeitraffer, wie es scheint, jedenfalls sind die Bewegungen sehr viel schneller als üblicherweise. Auf mich wirkt es zunächst eher etwas verstörend und zusammen mit dem Gesang einer Frau und den Vogelstimmen fühle ich mich schnell überfrachtet von den vielen Sinneseindrücken. Auf dem zweiten Bildschirm sehe ich tanzende Schatten vor einer Landschaft, die aus dem asiatischen Raum zu stammen scheint. Auf dem dritten Bildschirm erkenne ich jemanden, der zeichnet, verschiedene Vögel. Diese entdecke ich auf den ausgestellten Tafeln teils wieder. Die Zeichnungen gefallen wir ausgesprochen gut, weil sie mit wenigen Strichen auskommend die verschiedene Vogelarten trotzdem so konkret wiedergeben. Diese Zeichnungen zeugen von einer Künstlerin, die sich sehr viel mit diesen Tieren beschäftigt. Dieser Eindruck bestätigt sich auch später, als ich die kleine Broschüre durchlese, die ich am Eingang erhalten habe. Dort lese ich, dass „die Erforschung von Natur und Tieren, insbesondere von gefährdeten Arten, in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen hat“. Nachdem ich den ganzen Raum betrachtet und alles habe auf mich wirken lassen, ergibt das Ganze langsam einen Sinn für mich. Vögel, Fliegen, Freiheit. Alle Installationen und Elemente in diesem Raum sind miteinander verbunden.
Wie erklärt man ihre Arbeit, ohne sie zu sehen und zu hören? Die erste Assoziation, die ich mit dieser Frage habe, ist die meiner Reiseschachteln. Dort bewahrte ich auf Reisen einzelne Dinge auf, eine schöne Muschel, ein besonderes Souvernir, eine Postkarte, Eintrittskarten, Fotos, kurze Notizen. Einzelheiten, die sich durch eine einzige Gemeinsamkeit miteinander verbinden. Meinem Erleben dieser Reise. Jonas nimmt die Einzelheiten ihres Erlebens und gestaltet daraus etwas Neues, Mehrdimensionales. Und ich habe das Gefühl, ich erfahre dadurch letztendlich nicht so sehr etwas über jedes Detail der ursprünglichen Objekte und Orte als viel mehr etwas über sie selbst. Das macht diese Ausstellung für mich spannend, auch wenn mich der Besuch der Ausstellung sehr anstrengt. Jonas komprimiert das Erlebte, verdichtet es und erschafft dadurch eine Art Konzentrat oder Essenz. Als Besucherin erhalte ich diese Essenz wie hochprozentigen Alkohol verabreicht, während sie das ursprünglich erlebte in einer viel längeren und einem weniger verdichteten Zeitraum erleben und verarbeiten konnte. Es wundert mich daher auch nicht, dass ich mich irgendwann wie betrunken fühle und dadurch den Raum 7 leider nur noch am Rande wahrnehme, mit einem schwindeligen Gefühl taumle ich regelrecht durch diesen hindurch. Das finde ich schade. Die Arbeit Jonas würde ich mir gerne Raum für Raum mit langen Pausen dazwischen ansehen, vielleicht sogar verteilt auf mehrere Tage. Leider lässt es meine kurze Zeit in London nicht zu. Ich beschließe, mir die Ausstellung auf jeden Fall ein zweites Mal anzusehen, wenn sie in München im Haus der Kunst gezeigt wird.
Als ich mich wie eingangs beschlossen noch einmal in den ersten Raum begebe, gelingt mir die Zuordnung einzelner Exponate zu den vorgestellten Stücken problemlos. Jonas schreibt über das Arrangement ihrer Sammelstücke:
„I always thought the activity of putting one object next to another was like making a visual poem.“
Nachdem, was ich hier heute gesehen und aufgenommen habe, ist mir, als könnte ich das Gedicht im ersten Raum nun zumindest erahnen.